Café Griensteidl - NoNameNeeded2/DHKaffee GitHub Wiki
== Geschichte des Künstlercafés ==
Das Café Griensteidl (auch "Café National" oder "Café Größenwahn" genannt) wurde im Jahre 1847 in der Herrengasse von dem Apotheker Heinrich Griensteidl gegründet. Vor allem in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts galt das Griensteidl als ein beliebter Austauschpunkt für kritische Gespräche über die damaligen österreichischen Verhältnisse, die oftmals im Zwiespalt zu konservativeren Cafés, wie das „Café Daum“ gestanden sind. Dies verleitete unter anderemn Julius Alexander Schindler zu einem epigrammatischen Zweizeiler über die zwei verschiedenen politischen Lager der damaligen Kaffehauszeit:
''„Beim „Daum“ trinkt Kapuziner man aus Schalen, ''Im „National“ da fressen ihn die Vandalen.''“''
Bald trat das Café auch die Nachfolge des literarischen Zirkels vom Café Neuner an, da es ebenfalls eine große Auswahl an verschiedenen nationalen und internationalen Zeitschriften beinhaltete und ebenfalls einen fruchtbaren Boden für die liberalen Ideen des späten 19. Jahrunderts bot. Die Polizei war über die Vorgänge im Griensteidl jedoch durch einen eigens dafür eingeschleusten Vigilanten, den Markör Schorsch, stets informiert. Diese Rolle bestritt der Kellner jedoch nur äußerst kurz, da er relativ bald als Polizeispitzel enttarnt und umgehend entlassen wurde. Das Café Griensteidl nahm das gesamte Erdgeschoß des Palais Herberstein ein. Durch eine Glastür betrat man, von der Herrengasse aus, einen Saal, in dem ein großer Tisch mit einer Vielzahl von Magazinen und Zeitungen stand. Das Lesen war eine der wichtigsten Beschäftigungen der Besucher des Cafés und es wurde daher in den Räumen der Zeitungsleser nur im Flüsterton miteinander gesprochen. Zu den zahlreichen Poltikern und Schauspielern, die das Café zu ihren Besuchern zählen konnten, gehörten auch eine Vielzahl damaliger noch junger Dichter und Literaten dazu. Vor allem Hermann Bahr zählte zu den berühmtesten Besuchern des Cafés. In seinem Namen formierten sich unter anderem auch Arthur Schnitzler, Karl Kraus, Felix Salten, Richard Beer-Hofmann und viele weitere Lyriker, Dramatiker und Kritiker rund um das Café Griensteidl. Auch Hugo von Hofmannsthal, der als jüngster der Dichter noch zur Schule ging und bis zur Matura nur unter seinem Pseudonym „Loris“ bei seinen Kollegen bekannt war, gehörte zu der Wiener Gruppe und bildeten den Kern der Jungwiener Literatur. 1897 musste das Café Griensteidl seine Pforten schließen, da es dem groß angesetzten Umbau Wiens wie viele andere altehrwürdige Gebäude, wie beispielsweise dem schmalen alten Burgtheater, zum Opfer fielen. [Karl Kraus]] hat der Schließung des Cafés in seiner Satireschrift ''[Karl Kraus#Die demolirte Literatur'' ein letztes Denkmal gesetzt:
''„Unsere Literatur sieht einer Periode der Obdachlosigkeit entgegen, der Faden der dichterischen Produktion wird grausam abgeschnitten.“''
== Zitate ==
''„Die Wiener Begabung, in losen Gesprächen den geringsten Anlass, irgendein hingeworfenes Wort, den Doppelinn irgendeiner Wendung plauschend zu benützen, um daran unmerklich bis zu den letzten Fragen emporzuklettern, freilich nur um droben dann dem über Leben und Tod entscheidenden Problem geschwind einen Nasenstüber zu geben, ist ohne den Hintergrund einer großen Kultur undenkbar.“'' Hermann Bahr
''„wo die vornehme Schauflergasse und die nicht minder gebildete Herrengasse einander die Hand reichen (...) Fünfzig Jahre lang wurde im Café Griensteidl Geschichte und Kulturgeschichte gemacht. Es war die geistige Nabe des Riesenrades Wien, das sich munter drehte, auch wenn es nicht recht vom Fleck kam.“'' Hertha Singer, 1959
''„in denen das auffallendste und das geringfügigste Ereignis, der Unfall eines alten Mannes, der Klatsch über ein Mädchen, das Binden einer Krawatte, der Ton eines Schauspielers, die Farbe einer Wolke über der Minoritenkirche Platz, Beziehung und Sinn bekamen... Vollends wenn ein kostbarer neuer Vers, ein fragwürdiges Bild, die erbitternd bösartige und dumme Kritik eines der Wiener Kunstnachtwächter oder gar die Arbeit eines der Freunde die Debatte entzündete, dann sprühten Gedanken und Erkenntnisse, Geistigkeiten köstlicher Art wurden verschwenderisch und mit der Achtlosigkeit großen inneren Reichtums verstreut...“'' Unbekannt
''„Der Treffort für alle Jungwiener Literaten war das Café Griensteidl auf dem Michaelerplatz“'' Felix Salten, 1933
''„Und wieder andere waren da, die sich im Gegensatz zu den „gutsituierten Dilletanten“ an unserem Tisch für die wirklichen Dichter hielten und uns alle so sehr verachteten, dass sie jede Gemeinschaft ablehnten.“'' Richard Specht, 1922
''„Endlich war ich wieder in Wien, im Café, über den Blättern, die ich sechs Wochen nicht gesehen: wir waren so analphabetisch glücklich gewesen“'' Hermann Bahr, 1892
''„Nächsten Tag wieder im Café. Ich sitze, lese, plausche.“'' Hermann Bahr, 1892
''„Eine der zartesten Blühten der Decadence sproß dem Café Griensteidl in einem jungen Freiherrn, der, wie man erzählte seine Manirirheit bis auf die Kreuzzüge zurückleitet.“'' Karl Kraus, 1896
''„Er überlegte, ob er ins Kaffeehaus gehen sollte. Er hatte keine rechte Lust dazu“'' Arthur Schnitzler, 1908
''"Gestern Abd. hat Salten im Kfh. noch den kleinen Kraus (der auch ihn angegriffen) geohrfeigt, was allseits freudig begrüßt wurde."'' Arthur Schnitzler, 1896
''"So wussten wir alles, was in der Welt vorging, aus erster Hand, wir erfuhren von jedem Buch, das erschien, von jeder Aufführung, wo immer sie stattfand, und verglichen in allen Zeitungen die Kritiken; nichts hat vielleicht so viel zur intellektuellen Beweglichkeit und internationalen Orientierung des Österreichers beigetragen, als dass er im Kaffeehaus sich über alle Vorgänge der Welt so umfassend orientieren und sie zugleich im freundschaftlichen rReise diskutieren konnte. Tächlich saßen wir dort stundenlang und nichts entging uns."'' Stefan Zweig, 1942
''"Wir leben in geistiger Beziehung wie die Cocotten, die nur französischen Salat und Gefrorenes essen. Das Leben, das wir in Wien führen, ist nicht gut."'' Hugo von Hofmannsthal, 1896
''"Der Demolierarbeiter pocht an die Fensterscheiben - es ist die höchste Zeit.(...)Zögernde Dichter werden sanft hinausgeleitet. Aus dumpfer Ecke geholt, scheien sie vor dem Tag, dessen Licht sie blendet, vor dem Leben, dessen Fülle sie bedrücken wird. Gegen dieses Licht ist das Monocle bloß ein schwacher Schutz, das Leben wird die Krücke der Affection zerbrechen... Wohin steuert nun unsere junge Literatur? Und welches ist ihr künftiges Griensteidl?"'' Karl Kraus, 1896
== Literatur ==
Thiele-Dohrmann Klaus: Europäische Kaffehauskultur. Zürich: Artemis & Winkler, 1997. S. 104-107.
Seemann Helfried, Lunzer Christian: Kaffeehaus-Album. 1860-1930. Wien: Verlag für Photographie, 1993. S.13.
Schaber Susanne: Café Griensteidl oder: Wo Dichter streiten. In: Einspänner, Mokka und Melange. Wiener Kaffeehäuser: eine Verführung. Berlin: Insel 2016. S. 56-61, S.96-97.
Rössner Michael: Literarische Kaffeehäuser. Kaffeehausliteraten. Wien: Böhlau, 1999. S. 36-37.