Kaffeehausliteratur der Wiener Moderne - NoNameNeeded2/DHKaffee GitHub Wiki

==Definition== Schon im frühen 18. Jahrhundert ist das Kaffeehaus in Wien ein sozialer Ort, ein Ort bürgerlicher Öffentlichkeit. In der Wiener Moderne von ca. 1890 bis 1910 blüht die Kaffeehauskultur aber erst richtig auf. Es kommt zur Entstehung der sogenannten ''Kaffeehausliteratur'', die die Kaffeehaushistorikerin Herta Singer folgendermaßen definiert:

:"Unter Kaffeehaus-Literatur versteht man im allgemeinen schriftstellerische Produkte, die fern von den Gegenständen, die sie schildern, ausgeklügelt wurden und die lebendige Wirklichkeit aus einer falschen Perspektive betrachten."

Auch der Publizist Milan Dubrovic schreibt, dass die Gesellschaft im Kaffeehaus zwar hochintellektuell ist, aber auch wirklichkeitsfremd. Wieso zieht es dennoch so viele Literaten zum Schreiben ins Kaffeehaus?

==Merkmale== Dafür gibt es zunächst einmal einen ganz praktischen Grund: zwischen 1890 und 1950 können sich viele junge Dichter keine ausreichend beheizten Zimmer leisten und gehen daher vermehrt ins Kaffeehaus. Dieses bietet ihnen eine wichtige Wärmestube, in der kein hoher Konsumzwang herrscht, was in anderen Lokalen der Fall ist. Außerdem können sich die Dichter im Kaffeehaus leichter von den anderen Gästen isolieren, um zu schreiben. Einige Dichter geben sogar das Kaffeehaus, das sie am häufigsten besuchen, als ihre Adresse an (zum Beispiel Peter Altenberg das Café Central).

Betrachtet man den einsamen Dichter, der im Kaffeehaus schreibt und vergleicht seine Texte mit denen eines einsamen Dichters, der Zuhause auf seinem Schreibtisch schreibt, dann unterscheiden sich die Texte nicht voneinander. Der Vorteil, der dennoch im Kaffeehaus für einen Literaten entsteht, ist ein anderer. Da das Kaffeehaus, wie schon oben erwähnt, ein sozialer Ort ist, kommt ein Dichter mit verschiedenen Menschen in Kontakt, so auch mit Verlegern, Redakteuren, Theaterdirektoren und anderen Literaten. All diese können eine wichtige Funktion für den Dichter haben. Somit fungiert das Kaffeehaus nicht mehr nur als Wärmestube, sondern als eine Art ''Literaturbörse'' und übernimmt eine ''Vermittlungsfunktion''. Durch verschiedene ''Stammtische'', die sich regelmäßig treffen, können sich Dichter untereinander austauschen und so für ihr Schreiben davon profitieren. Das Kaffeehaus wird so zum ''Hauptquartier'' von Literatengruppen, wie beispielsweise das Café Griensteidl für die Gruppe Jung Wien. Durch das Vorlesen und Vortragen von Texten Vorort können die Zuhörenden sofort darüber diskutieren. Somit ermöglicht das Kaffeehaus direktes Feedback zwischen Autor und Rezipient und die bisher einseitige Kommunikation zwischen Sender und Empfänger wird abgelöst.

==Gesellschaftliche Funktion== Trotz der engen Verbindung zwischen Autor und Rezipient, bleibt dennoch auch im Kaffeehaus eine gewisse Hierarchie bestehen. Der Kulturwissenschaftler Michael Rössner schreibt dazu:

:"Jeder hatte seinen Platz in der intellektuellen Hierarchie, aber er mußte ihn täglich neu erobern und verteidigen, in erster Linie durch die Fähigkeit zur Pointe, sehr oft auf Kosten der anderen. Aber im Unterschied zu den historisch früheren Dichterhöfen und Salons entspricht im Kaffeehaus diese Hierarchie üblicherweise eben nicht mehr der sozialen Ordnung der „Außenwelt“."

Neben dieser gesellschaftlichen Funktion, die eng mit Öffentlichkeit verbunden ist, hat das Kaffeehaus auch eine private Komponente. Es dient als Rückzugsort vor der geschäftigen Welt draußen. Es bietet also einerseits den „nötigen Blick in das Zentrum des Geschehens von Politik, Wirtschaft und Kultur“ und andererseits „Platz und Ruhe auch zum Schreiben.“

==Zeitungen und Zeitschriften== Neben all den genannten Funktionen hat das Kaffeehaus aber noch eine weitere, sehr wesentliche: es stellt ein ''Informationszentrum'' dar. In den meisten Kaffeehäusern in Wien (allen voran im Café Central und Café Griensteidl) liegen Zeitungen und Zeitschriften aus dem In- und Ausland für die Gäste kostenlos bereit. Somit können Informationen und Inhalte aus aller Welt nicht nur gelesen, sondern auch sofort diskutiert werden.

Viele der gewonnenen Eindrücke im Kaffeehaus werden sofort in literarische Formen verpackt. Um sie so schnell wie möglich zu verarbeiten, sind die Hauptvertreter der Kaffeehausliteratur vor allem literarische Kleinformen, wie Essays, Feuilletons, Anekdoten und Aphorismen. Die Themen drehen sich dabei häufig um die Tagesgeschehen, die in den Zeitungen geschildert werden. Michael Rössner führt hier noch genauer aus:

:"Thematisch kreisen die Geschichten [Anm.: jene, die im Kaffeehaus geschrieben werden] um die Alltagswirklichkeit in Wien, die Darstellung inneren Erlebens und lokaler Ereignisse, von Ausschnitten aus dem Leben, sowie immer wieder um das Kaffeehaus mit seinen Kellnern, Stammgästen und skurrilen Geschichten."

Alles in allem sind die Kaffeehäuser neutrale Zonen, in denen das freie Gespräch zwischen Intellektuellen, Journalisten, Künstlern, Literaten und auch Politikern möglich ist. Es sind loyale Begegnungen, die dort stattfinden, mit dem Ziel sich das Handwerk zum reflektierten und kritischen Denken anzueignen.

==Verwendete Literatur==

  • Dubrovic, Milan: Veruntreute Geschichten. Die Wiener Salons und Literatencafés. Wien/Hamburg: Paul Zsolnay Verlag 1985.
  • Rössner, Michael (Hg.): Literarische Kaffeehäuser. Kaffeehausliteraten. Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag 1999
  • Veigl, Hans (Hg.): Lokale Legenden. Wiener Kaffeehausliteratur. Wien: Verlag Kremayr & Scheriau 1991.

==Weiterführende Literatur== *Dor, Milo und Kurt Hamtil u.a. (Hg.): Erweiterte Wohnzimmer. Leben im Wiener Kaffeehaus. Wien: Buchkultur-Verl.-Ges. 1990. *Ecker, Ludwig Viktor: 250 Jahre Wiener Kaffeehaus. Festschrift des Gremiums der Kaffeehausbesitzer in Wien zur Erinnerung an die Gründung des ersten Wiener Kaffeehauses. Wien: Gremium der Kaffeehausbesitzer 1933. *Gustav Gugitz: Das Wiener Kaffeehaus. Ein Stück Kultur- und Lokalgeschichte. Wien: Verlag Jugend & Volk 1940. *Heise, Ulla: Kaffee und Kaffeehaus. Eine Kulturgeschichte. Leipzig: Edition Leiptig 1996. *Kretschmer, Helmut: Kapuziner, Einspänner, Schalerl Gold. Zur Geschichte der Wiener Kaffeehäuser. Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Ausstellungskataloge, Band 73. Wien: Wiener Stadt- u. Landesarchiv 2006. *Oberzill, Gerhard H.: Ins Kaffeehaus! Geschichte einer Wiener Institution. Wien: Jugend & Volk 1983. *Riha, Fritz: Das alte Wiener Caféhaus. Salzburg: Festungsverlag 1967. *Singer, Herta: Im Wiener Kaffeehaus. Wien: Jugend & Volk 1959. *Weigl, Andreas: Kaffeehäuser im städtischen Raum – Öffentlichkeitsräume im Kaffeehaus. Am Beispiel des „Wiener Kaffeehauses“ (1780-1914). In: Lukas Morscher / Martin Scheutz / Walter Schuster (Hg.), Orte der Stadt im Wandel vom Mittelalter zur Gegenwart. Treffpunkte, Verkehr und Fürsorge (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 24), Innsbruck/Wien/Bozen: StudienVerlag 2013, S. 107-139.

*Diplomarbeiten: **Buchner, Monika: „Ich geh' ins Kaffeehaus!”. Eine soziologische Studie über die Institution Wiener Kaffeehaus; heute wie damals? Wien: Univ. Master-Arb. 2014. **Fehrer, Sonja: Altenberg-Polgar-Friedell. Die Wiener Kaffeehausliteratur der Jahrhundertwende. Wien: Univ. Dipl.-Arb. 1992. **Trapper, Carina: Stätte des Schreibens oder der Inszenierung? Das literarische Kaffeehaus zwischen Sein und Schein. Wien: Univ. Dipl.-Arb. 2009.

==Internetlinks== *http://www.daniela-pucher.at/2014/04/im-kaffeehaus-schreiben-das-literarische-wien-von-a-bis-z/ *https://www.wien.gv.at/wiki/index.php?title=Kaffeehaus *http://wiener-cafes.websites.friedrichkromberg.com/kaffeehausliteratur/