Dehnungsreflex - stefaneidelloth/matameko GitHub Wiki

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Einfluss der Muskelspindeln

Wir setzen das Beispiel mit dem Buch fort: jetzt legt jemand ein weiteres Buch auf deine Hand. Der Unterarm sinkt leicht nach unten. Die Muskelfasern der Beuge-Muskulatur und die darin eingebetteten Muskelspindeln werden gedehnt. Die Dehnung aktiviert die Muskelspindeln. Über den Ausgang jeder erregten Muskelspindel wird erhöhte Aktivität an das zugehörige α-Neuron gemeldet.

Das Ausgangssignal der Muskelspindel ist über das α-Neuron so verschaltet, dass das Eingangssignal für die Muskelfasern zunimmt. Dadurch kontrahiert der Muskel stärker. Die Muskelkraft ist jetzt groß genug um beide Bücher zu halten.

Durch die Kontraktion des Muskels werden schließlich die eingebetteten Muskelspindeln wieder entlastet und das Ausgangssignal der Muskelspindeln nimmt ab. Ein neues Gleichgewicht hat sich eingestellt und du hast die stärkere Belastung durch das zusätzliche Buch erfolgreich ausgeglichen.

Dies geschieht "automatisch" und sehr schnell übers Rückenmark, ohne dass du mit deinem Gehirn etwas willentlich beiträgst.

Da dieser Reflex durch Dehnung ausgelöst wird, bezeichnet man ihn auch als Dehnungsreflex oder kurz "Dehnreflex". Da jeweils nur ein Neuron beteiligt ist, zählt der Reflex zu den sogenannten monosynaptischen Reflexen. Der Effekt des Reflexes wird im selben Organ (=Muskel) hervorgerufen, das zuvor gereizt wurde. Daher zählt er auch zu den Eigenreflexen. Er wird auch als "direkter Reflex" oder "short reflex" bezeichnet. Im Englischen sind auch noch die Bezeichnungen "stretch reflex" und "myotatic reflex" (nach Sir William Richard Gowers, griechisch τᾰτικός=gedehnt) verwendet. Eine weitere Bezeichnung ist Liddell-Sherrington Reflex. Ein Muskel kann durch einen Schlag auf seine Sehne gedehnt werden. In dem Zusammenhang wird der (tatsächlich durch die Muskelspindeln ausgelöste) Reflex in frühen Veröffentlichungen (Heinrich Erb, Carl Westphal) auch als Sehnenreflex oder "deep tendon reflex" bezeichnet. Der beschriebene "Regelkreis" wird häufig als (Myostatischer) Reflexbogen bezeichnet. Zum "Unterschied" zwischen myotatic und myostatisch siehe auch noch folgender Beitrag zur Historie der Begriffe

Tatsächlich erfolgt die Rückmeldung der Muskelspindeln über zwei verschiedene Arten von Fasern, die unterschiedlich verschaltet sind:

Freiwald, "Optimale Dehnung", 2013

Die Gruppe II-Affernzen besitzen ebenfalls erregende Wirkung auf homonyme Motoneurone, jedoch ist ihre Wirkung nicht nur auf einen einzelnen Muskel beschränkt. Gruppe II-Afferenzen wirken auf alle Muskeln, die funktionell zusammenarbeiten. Sie ähneln Afferenzen, die den sogenannten Flexorreflex hervorrufen können.
Sie wirken unabhängig vom Ursprungsmuskel auf alle Flexoren einer Extremität fördernd und auf alle Extensoren hemmend. Insofern greifen die Muskelspindeln in die Steuerung der gesamten Extremität ein.

Einfluss der Golgi-Sehnenorgane

Die größere Belastung wird nicht nur durch die Muskelspindeln sondern auch durch die Golgi-Sehnenorgane erfasst. Allerdings ist das zugehörige Ausgangssignal für unser Beispiel momentan noch nicht so wichtig. Die Muskelspindeln und die Golgi-Sehnenorgane sind nur für kurze Zeit gleichzeitig aktiv. Die verstärkte Kontraktion entlastet die Muskelspindeln schnell wieder und die Aktivität der Golgi-Sehnenorgane ist insgesamt noch gering.

Beeinflussung und Bedeutung des Dehnungsreflexes

Im stark vereinfachten Schema oben ist noch nicht enthalten, dass Reflexe durch übergeordnete Bereiche des Nervensystems beeinflusst werden können. Willentliche Beeinflussung kann die Bewegung sowohl hemmen als auch verstärken. Ein zu stark oder zu schwach ausgepräger Reflex kann auch ein Indikator für Schädigungen des übergeordneten Nervensystems sein.

Der Dehnungsreflex findet nur dann statt, wenn due deine Muskellänge gegene eine äußere, nicht vorhersehbare Störung konstant halten möchtest. Anders ausgedrückt: nur wenn bei einer Längenänderung die tatsächlichen Signale nicht zur Bewegungsplanung passen, kommt es zum Reflex. Wenn du selbst eine Dehnübung durchführst, besteht keine Abweichung zwischen der "Erwartung deines zentralen Nervensystems" und den tatsächlichen festgestellten Längen- und Spannungsänderungen.

Wenn man Reflexe gezielt einsetzen möchte, braucht es geeignete Voraussetzungen. Um willentliche Interkation zu vermeiden, kann die Person z. B. mit dem Jendrassik-Handgriff (im Englischen Jenndrassik Manoever, JM) abgelenkt werden.

Bei Säuglingen sind Reflexe am besten zu beobachten, weil bei ihnen das Reflexverhalten im Vergleich zur Großhirnkontrolle noch überwiegt.

Wenn "höhren Anteile" (Pyramidenbahnen) des Nervensystems beschädigt sind, kann es zu einer Überempfindlichkeit der Reflexe kommen, weil die Hemmung fehlt. Spastik kann als Adaption an die Schädigung der Pyramidenbahnen und anderer absteigender motorischer Bahnen aufgefasst werden. Die Tonussteigerung bei einer Spastik kann durchaus sinnvoll sein, da sie z. B. eine bessere Stabilität beim Gehen ermöglicht.

Die Körperhaltung zu bewahren ist eine Hauptaufgabe des Dehnungsreflexes. Wenn jemand aufrecht steht und dann nach links schwankt, werden Muskeln in Beinen und Rumpf gedehnt. Über den Dehnungsreflex wird das Schwanken ausgeglichen. Auf diese Weise braucht das übergeordnete Nervensystem nur den Befehl "bewahre die Körperhaltung" zu senden und ist dann nicht weiter involviert. Die unteren Anteile der Hierarchie setzen den Befehl um. Den höheren Anteilen steht dann frei, sich um andere Aufgaben zu kümmern, etwa die nächste Sequenz einer Bewegung zu planen.

Eine Dauerkontraktion eines Muskels kann zur Verkürzung und Verdickung von Muskelfasern und einer erhöhten Grundspannung in Form eines Hartspanns führen. Wir stellen uns vor, dass das α-Neuron feuert, obwohl es kaum Signale von der Muskelspindel erhält. Die Muskelfasern kontrahieren sehr häufig und die eingebetteten Muskelspindeln befinden sich in Dauerkontraktion, sind zusammengezogen, entdehnt. Schließlich geben die Muskelspindeln gar keine Signale mehr ab und können ihre Aufgabe bei der Spannungsregulation nicht mehr erfüllen. (Dieser Effekt wird z. B. von Muschinky in seinem Buch "Massagelehre in Theorie und Praxis" beschrieben.) Die Muskelspindeln befinden sich sozusagen außerhalb ihres Messbereiches. Der Dehnungsreflex funktioniert nicht mehr, da die laschen Muskelspindeln nicht reagieren.

Der Dehnungsreflex kann bei der Körperarbeit (absichtlich oder unabsichtlich) ausgelöst werden, z. B. durch Klopfen oder eine lokale Knetung des Muskels.

Zusammenfassung

Merke: Eine unerwartete Erregung der Muskelspindeln (z. B. durch Klopfen, Hacken, Kneten) wirkt verstärkend und führt tendenziell zu erhöhter Muskelspannung des bearbeiteten Muskels!

Wenn ein Muskel verhärtet ist und deshalb die Muskelspindeln außerhalb ihres Messbereichs liegen, kann die Muskelspannung nicht über die Muskelspindeln beeinflusst werden.

Dehnungen, welche die Ausganssignale der Muskelspindeln verändern, wirken nicht nur auf den gedehnten Muskel, sondern auch auf alle anderen an einer Gelenkfunktion beteiligten Muskeln.

Um das Beispiel mit dem Buch weiter fortzusetzen... was geschieht, wenn jemand frech genug ist, um einen schweren Stabel Bücher auf deine Hand zu stellen? Siehe dazu Autogene Hemmung.


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