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Benevolent Dictator for Life
Einzelreferat
Sebastian Brockmeyer, [email protected], Universität Osnabrück
Einleitung
Benevolent Dictator for Live (zu deutsch etwa: wohlwollender Diktator auf Lebenszeit, kurz: BDFL) ist ein Begriff, der in der Open-Source-Community für Personen verwendet wird, die an der (inoffiziellen) Spitze eines großen Open-Source-Projekts stehen, meist weil sie Gründer des Projekts sind und auch darüber hinaus einen großen Beitrag für das Projekt geleistet haben. [1] Bei Wikipedia heißt es: [2]
Abgesehen von einigen sehr wenigen legitimen Diktaturen […] begründet ein Diktator im Gegensatz zur Demokratie seinen Anspruch auf Herrschaft prinzipiell nicht durch freie Wahlen.
Die Begriff "Diktator" ist allgemein sehr negativ belastet (im politischen Kontext sicher mit Recht) und es wirkt daher unnatürlich, dass dieser Begriff zusammen mit "benevolent" fällt. Doch in wie fern lässt sich dieser politische Begriff des Diktatoren auf Personen wie Richard Stallman, Linus Torvalds, Guido van Rossum und viel andere übertragen? Ist es nicht ein Widerspruch, wenn ein Open-Source-Projekt, das für sich selbst den Anspruch erhebt, frei zu sein und Freiheiten zu gewährleisten, diktatorisch statt demokratisch geführt wird?
Herkunft der Bezeichnung
Es gilt als wahrscheinlich, dass die Bezeichnung "Benevolent Dictator for Life" ursprünglich an Guido van Rossum, dem Gründer der Programmiersprache Python, verliehen wurde. Nachdem auf Wikipedia nach der Verbreitung des Begriffs zunächst vermutet wurde, dass er auf einen Sketch der britischen Komikergruppe "Monty Python" ("Das Leben des Brian") zurückzuführen sei [4], veröffentlichte Guido van Rossum eine E-Mail von Ken Manheimer von 1995 [4], in der dieser van Rossums Rolle in einem gerade gegründeten Python-Gremium so bezeichnete.
Beispiele
In der Open-Source-Community kommt es gerade bei sehr erfolgreichen Projekten häufig vor, dass ein BDFL an der Spitze steht. Einige Beispiele sind: [4],
- Richard Stallman, founder of the GNU Project
- Linus Torvalds, creator of the Linux kernel
- Larry Wall, the creator of Perl
- Rasmus Lerdorf, the creator of PHP
- Guido van Rossum, creator of Python
- Yukihiro Matsumoto, the creator of Ruby
- Jimmy Wales, founder of Wikipedia Auf Richard Stallman, Linus Torvalds, Guido van Rossum und ihre jeweiligen Stellungen in ihren Projekten soll hier genauer eingegangen werden.
Richard Stallman
Richard Stallman gilt als einer der einflussreichsten Programmierer der Welt durch die Gründung des GNU-Projekts und die Entwicklung vieler essentieller Werkzeuge hierfür. [3] Dazu gehören der GNU C Compiler, der GNU Debugger, einige der GNU coreutils (ls,cp,mv,rm, etc.) und der Texteditor GNU Emacs.
Leben
Stallman wurde am 13.03.1953 in Manhattan unter dem Namen Richard Matthew Stallman geboren. In den 1970ern arbeitete er am Massachusetts Institute of Technology (MIT) im AI Lab, der Abteilung für künstliche Intelligenz. Als immer mehr Software Firmen dazu übergingen, ihre Produkte statt als Quellcode ausschließlich in Binary-Dateien auszuliefern und den Nutzern per Lizenz verboten, diese zu kopieren oder ihren Bedürfnissen anzupassen, empfand Stallman das als essentiellen Eingriff in die Freiheit von Benutzern und Programmierern. Er entschloss sich daher, ein eigenes Betriebssystem zu entwickeln, das ausschließlich aus freier Software bestand. Unter "freier Software" versteht Stallman Software, die dem Nutzer die vier Freiheiten gewährt, [6]
- es zu jedem Zweck ausführen zu dürfen,
- seine Funktionsweise zu untersuchen und bei Bedarf an die eigenen Bedürfnisse anzupassen,
- es mit anderen Menschen zu teilen
- und es zu verbessern und dann neu zu veröffentlichen. Sein Betriebssystem nannte er GNU, ein rekursives Akronym für "GNU is not Unix". Dieser Name gibt einerseits die Ähnlichkeit zu Unix zu erkennen, distanziert sich andererseits aber von den nicht freien Versionen von Unix.
1984 kündigte Stallman beim MIT wegen der Befürchtung, das MIT könne seine Arbeit für sich beanspruchen und unter eine nicht freie Lizenz stellen. Ein Jahr später gründete er die Free Software Foundation. [7] In den Jahren danach arbeitet er intensiv an den einzelnen Komponenten von GNU. 1989 veröffentlichte er die GNU General Public License und prägte damit den Begriff des Copyleft in Anlehnung an das Copyright.
Aktuell
Stallman behauptet auf seiner Homepage [8], seit 2008 nicht mehr programmiert zu haben. Mit Unterstützung der Free Software Foundation reist er durch die ganze Welt und hält Reden über freie Software. Er engagiert sich vor allem politisch und setzt sich gegen Softwarepatente ein und sieht seine jahrelang geäußerten Vermutungen über die Abhörmöglichkeiten des Amerikanischen Staates durch die Enthüllungen von Edward Snowden bestätigt. [9]
Beim Tod von Steve Jobs zitierte er die Aussage von Chicagos Bürgermeister, als dessen korrupter Vorgänger starb: “’I’m not glad he’s dead, but I’m glad he’s gone.’ Nobody deserves to have to die - not Jobs, not Mr. Bill, not even people guilty of bigger evils than theirs. But we all deserve the end of Jobs’ malign influence on people's computing.” [3] Außerdem bezeichnet er Microsoft- und Apple-Software als "Malware". [9] Er stellt also Steve Jobs und Bill Gates auf eine Stufe mit "echten" Kriminellen.
Dies ist nur ein Beispiel für viele radikale Ansichten, die er vertritt. Er ist daher auch in der Open-Source-Community nicht unumstritten.
Benevolent Dictator for Life?
Richard Stallman hat zweifellos einen sehr großen Beitrag an der Open-Source-Community geleistet. Als Gründer des GNU-Projekts und der Free Software Foundation haben seine Worte trotz einiger radikaler Ansichten große Wirkung. Obwohl er nach eigenen Angaben nicht mehr aktiv an der Entwicklung von GNU beteiligt ist, wird er immer noch unter den Entwicklern aufgeführt. Konkrete Angaben über seinen Einfluss bei der Entwicklung sind zwar schwer zu finden, es kann aber vermutet werden, dass es keine GNU-Software ohne seine Zustimmung gibt. In so fern ist es sicher nicht aus der Luft gegriffen, ihn als Diktator zu bezeichnen. Auch das Wort "benevolent" ist auf ihn zutreffend, zumindest aus Sicht der Projekte, die er vertritt. Darüber hinaus scheint es sehr wahrscheinlich, dass er bis an sein Lebensende seinen hohen Einfluss behalten wird, sodass er insgesamt ohne Zweifel die Bezeichnung Benevolent Dictator for Life verdient hat.
Linus Torvalds
Linus Torvalds ist vor allem durch die Entwicklung des Linux-Kernels bekannt. Auch die Entwicklung des Versionsverwaltungssystems "Git" ist ihm zuzuschreiben. [10]
Leben
Torvalds wurde am 28.12.1969 in Helsinki, Finnland, geboren als Linus Benedict Torvalds. Von 1988 bis 1996 studierte er an der Universität Helsinki Informatik. Dort lernte er seine spätere Frau, die sechsfache finnische Karatemeisterin Tove Monni kennen. Gemeinsam haben die beiden drei Töchter und leben in Portland, Oregon, USA. [10]
Berufsleben und Linux
Während seines Studium arbeitete Torvalds mit Andrew S. Tanenbaums Unix-Klon "Minix". Damit war er allerdings unzufrieden und entschied sich, einen eigenen Unix-Klon zu programmieren. 1991 kündigte er sein Vorhaben in der Minix-Newsgroup an [11] und veröffentlichte daraufhin Linux 0.01. 1992 hörte er einen Vortrag von Richard Stallman über die GPL und änderte dadurch motiviert die Lizenz seines Betriebssystems zur GPL. Durch eine Vielzahl an interessierten Entwicklern konnte Linux so auf viele Systeme portiert werden. Torvalds selbst hatte sich auf ein einziges System beschränkt und hielt eine Portierung auf andere Systeme für unmöglich. [11] 1994 stellte Torvalds das Release von Linux 1.0 live im finnischen Fernsehen vor. Erst 1996 schloss er sein Studium ab mit der Masterarbeit Linux, a portable operating system. [10]
1997 arbeitete Torvalds bei der Firma Transmeta in Kalifornien an einem Prozessorinterpreter, ließ sich aber vertraglich zusichern, nebenbei den Linux Kernel weiterentwickeln zu dürfen. [10] 1997 Schenkten ihm die Firmen Red Hat und VA Linux Aktienoptionen. Nach dem Börsenstart der beiden Firmen machte Torvalds in den Jahren 1999 bis 2000 20Mio $ Aktiengewinn. Seit 2003 arbeitet er beim non-profit Unternehmen Open Source Development Labs, das sich 2007 mit Free Standards Group zur Linux Foundation zusammenschloss.
Benevolent Dictator for Life?
Torvalds Arbeit am Linux Kernel beschränkt sich nach eigener Aussage [12] mittlerweile hauptsächlich darauf, den Code anderer Leute zu überprüfen und zusammenzuführen. Darauf basierend kann die Vermutung geäußert werden, dass Torvalds im Zweifelsfall immer das letzte Wort hat. Darüber hinaus wird er aber auch von der Linux-Community aufgrund seiner Fähigkeiten geschätzt, obwohl er auch schon falsche Entscheidungen getroffen hat, wobei er sich im Nachhinein nicht zu schade ist, seine Fehler einzugestehen. [13] Die Bezeichnung Benevolent Dictator scheint also angemessen zu sein und es deutet auch derzeit nichts darauf hin, dass sich daran bald etwas ändern könnte.
Guido van Rossum
Guido van Rossum ist der Erfinder der Programmiersprache Python. Wie eingangs beschrieben, war er wohl der Erste, der als Benevolent Dictator for Life bezeichnet wurde.
Van Rossum wurde 1956 in Haarlem, Niederlande, geboren. 1982 machte er an der Universität Amsterdam seinen Master in Mathematik und Informatik. Er war unter anderem an der Entwicklung der Programmiersprache ABC beteiligt, die als Vorgänger von Python gilt. [14] Nach eigenen Angaben begann er 1989 an Python zu arbeiten, von Anfang an als Open-Source-Projekt. 1991 war dann das Release von Python 1.0. Im Jahr 2000 wurde Python 2.0 veröffentlicht. Ein Jahr später gründete Van Rossum die Python Software Foundation, ein non-profit Unternehmen, dessen Vorsitzender er bis heute ist. [14] 2008 kam das Release von Python 3.0, das zum erstem Mal nicht abwärtskompatibel war. Diese Entscheidung beruht im Wesentlichen auf Van Rossums Ansicht, dass Python entschlackt werden müssen. [15]
Von 2005 bis 2012 arbeitete Van Rossum bei Google, immer zu mindestens 50% an Python wie er sagt. Seit 2013 arbeitet er bei Drobbox, wiederum mit 50% an der Weiterentwicklung von Python. [15] Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Kalifornien.
Van Rossum ist immer noch selbst aktiv an der Entwicklung von Python beteiligt und behält sich explizit vor, die letzte Entscheidungsinstanz zu sein. Vor diesem Hintergrund kann er also durchaus als Diktator bezeichnet werden.
Fazit
Es ist klar, dass der Begriff Benevolent Dictator for Life nicht direkt mit "echten" Diktatoren verglichen werden kann und soll. Aus der E-Mail von Ken Manheimer wird auch ersichtlich, dass der Begriff wohl mit einiger Ironie zu verstehen ist. Während ein "echter" Diktator die alleinige Macht und Entscheidungsgewallt hat, kann ein Benevolent Dictator for Life nicht einfach eine Entscheidung verkünden, die dann automatisch von allen befolgt wird. Aus Sicht des BDFL besteht immer die Gefahr, dass ein großer Teil der Community mit einer Entscheidung nicht einverstanden ist und sich vom Projekt abspaltet (fork), was bei Open-Source-Projekten ohne weiteres möglich ist. In so fern handelt es in solchen Projekten mit einem BDFL wohl tatsächlich eher um eine indirekte Demokratie als um eine Diktatur. Auf der anderen Seite kann es natürlich auch Vorteile haben, wenn nur eine Person die Richtung vorgibt und nicht bei jeder kleinen Entscheidung die gesamte Community zu einer Sitzung zusammenkommen muss. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Struktur derartige Open-Source-Projekte nicht von mittelgroßen Wirtschaftsunternehmen. Trotzdem bleibt die Gefahr bestehen, dass durch einen mehr oder minder starken Personenkult die prüferische Rolle der Community zu kurz kommt. Doch letztlich gibt der Erfolg dem Recht, der ihn hat, solange er ihn hat.
Referenzen
- [1] Wikipedia: Benevolent Dictator for Life, http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Benevolent_Dictator_for_Life&oldid=599082344, 29.03.14
- [2] Wikipedia: Diktatur, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diktatur&oldid=128912755, 29.03.14
- [3] Wikipedia: Richard Stallman, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Richard_Stallman&oldid=128432456, 29.03.14
- [4] Wikipedia: Benevolent Dictator For Life, http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Benevolent_Dictator_for_Life&oldid=127356068,29.03.14
- [5] Artima Developer, Guido van Rossum's Weblog, Origin of BDFL, http://www.artima.com/weblogs/viewpost.jsp?thread=235725, 29.03.14
- [6] GNU Homepage, Philosophy, https://www.gnu.org/philosophy/free-sw.en.html, 29.03.14
- [7] Free Software Foundation Homepage, http://www.fsf.org/, 29.03.14
- [8] Richard Stallman Homepage, http://stallman.org/, 29.03.14
- [9] RT NEWS, http://rt.com/news/nsa-privacy-snowden-stallman-130/, 29.03.14
- [10] Wikipedia: Linus Torvalds, http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Linus_Torvalds&oldid=601427277, 29.03.14
- [11] Google Groups, comp.os.minix, https://groups.google.com/forum/#!topic/comp.os.minix/dlNtH7RRrGA[1-25-false], 29.03.14
- [12] Tech Crunch: Interview with Linus Torvalds, http://techcrunch.com/2012/04/19/an-interview-with-millenium-technology-prize-finalist-linus-torvalds/, 29.03.14
- [13] Wired: Leader of the Free World, http://archive.wired.com/wired/archive/11.11/linus_pr.html, 29.03.14
- [14] Wikipedia: Guido van Rossum, http://en.wikipedia.org/wiki/Guido_van_Rossum, 29.03.14
- [15] Wikipedia: History of Python, http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=History_of_Python&oldid=600530138, 29.03.14
- [16] Guido van Rossum - Personal Home Page, https://www.python.org/~guido/, 29.03.14