Token gesteuerte Netzwerke: Web3, das zustandsorientierte Web - Token-Economy-Book/GermanTranslation GitHub Wiki
Wenn wir davon ausgehen, dass das WWW Informationen und das Web2 Interaktionen revolutioniert hat, so hat das Web3 das Potenzial den Werteaustausch und das Vertragswesen grundlegend zu verändern. Blockchain-Netzwerke als treibende Kraft in diesem Web3 verändern die Datenstrukturen im Backend des Internets, indem sie eine universelle Zustandsebene einführen, die gemeinschaftlich von allen Netzwerkakteuren betrieben werden. ~
In den 1980er-Jahren, den frühen Tagen des PCs, haben wir Daten auf einer Diskette gespeichert, sind zu der Person gegangen, die unsere Datei benötigte, und haben dann die Datei auf den Computer dieser Person übertragen. Wenn sich diese Person in einem anderen Land aufhielt, musste man die Diskette per Post schicken, um die Datei zu übertragen. Das Internet hat dem ein Ende gesetzt, zunächst mit dem Datenübertragungsprotokoll UDP und in weiterer Folge mit TCP. Diese Datenübertragungsprotokolle beschleunigten den Datentransfer und reduzierten die Transaktionskosten des Informationsaustauschs massiv. Mit dem Aufkommen des WWW Anfang der 1990er wurde das Internet zudem benutzerfreundlicher.
Allerdings dauerte es zehn Jahre, bis das Internet reifer und programmierbarer wurde und den Aufstieg des sogenannten Web2 mit sich brachte. Das Web2 ermöglichte die sogenannte Plattformökonomie, die erstmals den Informationsaustausch und den Handel über das Internet skalierte. Beispiele hierfür sind die bekannten Wissens-, Social-Media- und E-Commerce-Plattformen. Das Web2 revolutionierte die sozialen Interaktionen, indem es die Produzenten und Konsumenten von Informationen, Waren und Dienstleistungen näher zusammenbrachte und direkte Interaktionen auf globaler Ebene ermöglichte – allerdings immer mit einem Intermediär, einem Zwischenhändler: einer Plattform, die als vertrauenswürdiger Vermittler zwischen zwei Menschen fungiert, die sich nicht kennen oder nicht vertrauen. Obwohl diese Plattformen viele wertvolle Dienstleistungen und eine P2P-Ökonomie ermöglichen, diktieren sie doch auch zunehmend alle Regeln der Transaktionen und verwalten alle Daten ihrer Benutzer. In diesem Zusammenhang sind Blockchain-Netzwerke und andere Distributed Ledger Systeme zur treibenden Kraft des Web3 geworden - die vertrauenswürdige Interaktionen zwischen unbekannten Akteuren ermöglichen – und zwar ohne Intermediär bzw. Zwischenhändler.
Das Internet, das wir heute nutzen, hat deutliche Defizite. Wir haben keine Kontrolle über unsere Daten. Auch haben wir keine Möglichkeit, Werte kopiergeschützt über das Internet zu transferieren. 30 Jahre nach dem Entstehen des WWW basieren unsere Datenarchitekturen immer noch auf der Logik nicht vernetzter Computer. Das liegt daran, dass Daten zentral auf Webservern gespeichert und verwaltet werden. Auch wenn wir schon lange in einer vernetzten Welt leben, in der immer mehr Geräte mit dem Internet verbunden sind – Uhren, Autos, Fernseher und Kühlschränke –, so werden unsere Daten doch immer noch zentral gespeichert: auf unseren Computern oder anderen Geräten, auf dem USB-Stick und sogar in der „Cloud“. Dies wirft Fragen des Vertrauens auf. Kann ich den Personen und Institutionen vertrauen, die meine Daten verwalten?
Jedes Mal, wenn wir über das Internet interagieren, werden Kopien unserer Dateien erstellt und an andere Computer gesendet, und jedes Mal, wenn das geschieht, verlieren wir die Kontrolle über unsere Daten. Das betrifft nicht nur den Schutz unserer personenbezogenen Daten, sondern ist auch ein wesentlicher Grund für Ineffizienz und Intransparenz entlang der Datenverwaltung von Lieferketten. Das aktuelle Internet mit seiner Client-Server-basierten Dateninfrastruktur und seinem zentralen Datenmanagement ist fehler- und korruptionsanfällig. Konzepte und Techniken zur Wahrung der Privatsphäre fehlen. Das zeigt sich unter anderem deutlich bei den immer wieder auftretenden Datenschutzverletzungen von Onlinedienstleistern. Darüber hinaus verursacht diese zentrale Datenarchitektur hohe Kosten für die Dokumentenabwicklung – vor allem zwischen unterschiedlichen Organisationen. Beispiele hierfür sind entlang der Lieferkette von Waren und Dienstleistungen zu finden sowie in der Finanzbranche, wie beispielsweise bei Interbanktransaktionen oder dem Wertpapier-Settlement.
Das Internet, das wir heute nutzen, speichert und verwaltet Daten auf Servern vorgeblich vertrauenswürdiger Institutionen. Die Daten auf diesen Servern sind durch Firewalls geschützt, und für die Verwaltung dieser Server und ihrer Firewalls werden Systemadministratoren eingesetzt. Der Versuch, Daten auf einem Server zu manipulieren, ähnelt dem Einbruch in ein Haus, bei dem die Sicherheit durch einen Zaun und eine Alarmanlage gewährleistet ist. Im Bitcoin-Netzwerk und bei ähnlichen Web3-Protokollen ist die Datensicherheit hingegen so konzipiert, dass man gleichzeitig in mehrere Häuser rund um den Globus einbrechen müsste, die alle über einen eigenen Zaun und ein eigenes Alarmsystem verfügen. Das liegt daran, dass die Daten in mehrfachen Kopien auf allen teilnehmenden Computern des P2P-Netzwerks gespeichert sind. Eine Manipulation dieser Daten ist zwar möglich, aber prohibitiv teuer und mit einem enormen Koordinationsaufwand verbunden.
Blockchain-Netzwerke, als Rückgrat des Web3, definieren die Datenstrukturen im Backend des Webs neu. Blockchain-Netzwerke ermöglichen eine automatisierte Verwaltungsebene (Governance-Ebene), die auf dem aktuellen Internet aufbaut. Zwei Personen, die sich nicht kennen oder vertrauen, wird so ermöglicht, Vereinbarungen über das Internet zu treffen und digitale Werte in Form von Tokens vertrauenswürdig zu versenden oder andere Rechte zu verwalten. Die Regeln der Datenverwaltung werden im Protokoll dieser Netzwerke formalisiert. Transaktionen im Netzwerk werden per Mehrheitsbeschluss aller Netzwerkteilnehmer bestätigt, die mit einem Netzwerk-Token für ihre Aktivitäten belohnt werden (siehe Kapitel „Bitcoin, Blockchain und andere Distributed Ledger“).
An der Oberfläche des Internets wird sich für den durchschnittlichen Nutzer trotzdem nicht viel ändern. Während das Web2 eine Frontend-Revolution war, kann das Web3 als Backend-Revolution bezeichnet werden. Das Web3 subsumiert hierbei eine Reihe von Protokollen mit unterschiedlichen Aufgaben – und Blockchain-Netzwerke repräsentieren das zentrale Nervensystem dieses Web3. Sie kombinieren die Logik des Internets mit der Logik des einzelnen Computers. Das Web3 ist der nächste große Paradigmenwechsel in der Entwicklung von Computern und Internet, wo potenziell alle Funktionen eines Computers dezentralisiert werden könnten.
Zustandsorientierte Protokolle
Das Internet, das wir heute nutzen, hat keinen eigenen Mechanismus, um das, was die Informatik als Zustand bezeichnet, zu übertragen – also den Status darüber wer wer ist, wer was besitzt und wer das Recht hat, was zu tun. Die Fähigkeit, den Status digitaler Werte direkt, einfach und effizient zu übertragen, ist aber entscheidend für effiziente Märkte und unser Finanzsystem. Ohne einen einheitlichen Status im Internet können wir keinen Wert übertragen, ohne dass zentrale Institutionen als Clearingstellen dieser Werte fungieren.
Das aktuelle Internetprotokoll (IP) ist „zustandslos“. Dieser Mangel an Information zum Zustand aller für eine Person oder Institution relevanten Daten ist der Einfachheit der Protokolle, auf denen das Web aufbaut, geschuldet. Das Internetprotokoll und darauf aufbauende Protokolle regeln zwar die Übertragung von Daten, nicht aber, wie Daten gespeichert werden. Daten können zentral oder dezentral gespeichert werden. Aus zum Teil historischen Gründen hat sich eine zentrale Datenspeicherung durchgesetzt, die keinen einheitlichen Zustand für alle Netzwerkteilnehmer erlaubt. Das bedeutet, dass unterschiedliche Einzelpersonen und Institutionen im Internet über einen begrenzten Datenbestand verfügen. So ist das Internet der Datensilos entstanden, mit vielen Ineffizienzen bezüglich Datenverwaltung. Auch haben die Nutzer dieses zustandslosen Internets keine direkte Kontrolle über viele Ihrer personenbezogenen Daten.
Ein Teil des Workarounds für dieses zustandslose Internet war die Einführung von Session-Cookies und Internetplattformen. Session-Cookies wurden erfunden, um webbasierte Anwendungen so zu gestalten, dass der jeweilige Status auf jedem lokalen Gerät erhalten bleibt. Vor der Einführung von Session-Cookies – in den frühen Tagen des WWW – konnten wir weder einen Browserverlauf speichern noch die automatische Vervollständigung im Browser nutzen. Das führte dazu, dass wir bei jeder Nutzung einer Website unsere Benutzerdaten erneut manuell eingeben mussten. Zwar haben Session-Cookies die Benutzerfreundlichkeit verbessert, sie werden aber von Internetplattformen und anderen Dienstleistern wie Google, Amazon, Facebook etc. zur Verfügung gestellt, die somit auch alle unsere Daten kontrollieren. Diese Internetplattformen füllen die Statuslücke in diesem zustandslosen Web. Ihre Aufgabe ist es, den Zustand der Netzwerkakteure zu gewährleisten und zu verwalten, allerdings auf Kosten von deren Datenautonomie. Obwohl diese Plattformen sehr viele neue innovative Dienste geschaffen haben, profitieren die Firmen, die diese Internetplattformen betreiben, vom Großteil der Wertschöpfung, die auf diesen Plattformen generiert wird. Die Nutzer dieser Dienste, die zum Mehrwert dieser Plattformen beitragen, gehen dagegen oftmals leer aus und haben keine Kontrolle über ihre Daten. Insbesondere bei Social-Media-Plattformen zeigt sich das deutlich.
Anstatt die Welt zu dezentralisieren – wie es die anfängliche Absicht früherer Internetaktivisten war –, führte das Aufkommen von Web2-Plattformen zu einer Zentralisierung der wirtschaftlichen Entscheidungsfindung und damit zu einer enormen Machtkonzentration der neuen Internetgiganten. Da das frühe Internet mit der Idee frei zugänglicher Informationen geschaffen wurde, waren viele Kunden im neuen Web2 nicht bereit, für Onlineinhalte zu bezahlen, schon gar nicht in Form von Abonnementgebühren. Mikrozahlungen sind und waren in den meisten Fällen wirtschaftlich nicht rentabel. Daher mussten viele dieser Onlineplattformen alternative Wege finden, um ihre Dienste zu monetarisieren. Das geschah meist durch personalisierte Werbung und die indirekte Monetarisierung privater Daten (mehr dazu in Teil 4 diese buchs im Kapitel „Basic Attention Token”).
Mit der Erfindung des Bitcoin-Protokolls wurde ein System geschaffen, mit dem nun jeder digitale Wert in Form von Tokens kopiergeschützt und autonom verwalten und übertragen kann, ohne dass vertrauenswürdige Vermittler benötigt werden. Bitcoin löste das sogenannte Double-Spending-Problem, indem es einen einzigen Referenzdatensatz dafür bereitstellt, der festhält, wer wann wie viele Tokens erhalten hat. Das Bitcoin-Netzwerk und sein zugrunde liegendes Blockchain-Protokoll können daher als Wegbereiter in ein dezentrales Web gesehen werden. Das Bitcoin Whitepaper aus dem Jahr 2008 initiierte eine öffentliche Infrastruktur - dem Bitcoin-Netzwerk - das um das 10.000-Fache größer als die Top-500-Supercomputer der Welt ist. Es repräsentiert ein vielfältiges Ökosystem von Entwicklern, Anwendern und Unternehmen – ganz zu schweigen von allen anderen öffentlichen und privaten Netzwerken, die – inspiriert vom Bitcoin-Netzwerk – seither entstanden sind (siehe Kapitel „Bitcoin, Blockchain und andere Distributed Ledger“).
Das Web3 ist deswegen ein Wendepunkt, da es Anwendungen ermöglicht, die auf einer öffentlichen Infrastruktur wie einem Blockchain-Netzwerk laufen, das gemeinschaftlich verwaltet wird. Nutzer haben in diesem neuen dezentralen Web erstmals die Möglichkeit, die Inhalte dieser Anwendungen, deren Logik und damit ihre Daten direkt zu beeinflussen und zu steuern. Blockchain-Netzwerke wie das Bitcoin-Netzwerk sind jedoch nur das Rückgrat und der Ausgangspunkt, aber nicht das einzige Protokoll in diesem neuen dezentralen Web. Viele Entwickler und Unternehmer weltweit konzipieren derzeit eine Vielzahl alternativer Blockchain-Netzwerke und ergänzender Protokolle für das Web3.
Web3-Stack
Der Begriff Blockchain wird häufig als Synonym für das Web3 oder andere dezentrale Protokolle verwendet, zumindest von der breiten Öffentlichkeit und manchen Journalisten. Um das Web vollständig zu dezentralisieren, ist aber eine Vielzahl weiterer Protokolle erforderlich. Blockchain-Netzwerke und andere Distributed Ledger Systeme repräsentieren lediglich den dezentralen Prozessor oder die Rechenleistung für dezentralen Anwendungen. Dezentrale Anwendungen erfordern aber mehr als ein Blockchain-Netzwerk. Andere wichtige Funktionen für die Verwaltung dezentraler Anwendungen sind etwa die Datenspeicherung, der Nachrichtenaustausch sowie externe Daten, die erforderlich sind. Externe Daten werden von Oracle-Services bereitgestellt (siehe Kapitel „Smart Contracts“).
Blockchain-Netzwerke sind nicht ideal für das Speichern großer Datenmengen. Öffentliche Blockchain-Netzwerke sind zu langsam und zu teuer, um große Datensätze zu speichern. Die Verwaltung von Daten auf Blockchain-Netzwerken ermöglicht außerdem nicht immer das richtige Maß an Datenschutz (mehr dazu im Kapitel „Privacy Tokens”). Für ein „dezentrales YouTube“ benötigt man beispielsweise ein dezentrales Speichernetzwerk zur Verwaltung der Videodateien. Eine Reihe von dezentralen Speichernetzwerken, wie IPFS, Filecoin, Swarm, Storj und Sia, wird genau dafür entwickelt. Dezentrale Speichernetzwerke machen Cloudspeicher in diesem Web3 zu einem algorithmischen Markt, indem sie Netzwerkknoten mit Protokoll-Tokens belohnen, damit sie Speicherplatz teilen. Protokolle wie Golem erlauben es zudem, Rendering-Leistung über Tokens zu dezentralisieren und monetarisieren. Rendering-Leistung wird in diesem Fall mit dem Protokoll-Token GNT belohnt. All diese Web3-Netzwerke unterscheiden sich in ihrem Dezentralisierungsgrad, wie mit dem Datenschutz umgegangen wird, wie ihre Anreizsysteme funktionieren und ob ein Token benötigt wird. Einige Protokolle wie zum Beispiel IPFS verfügen beispielsweise nicht über ein eigenes Token.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Web3 eine Backend-Revolution darstellt. Es wird sich am Frontend des Webs und an der Benutzeroberfläche kaum etwas verändern. Wir werden weiterhin im Internet surfen und mobile Apps nutzen – genau so, wie wir es heute tun. Im Gegensatz zu Web2-Anwendungen benötigen Web3-Anwendungen allerdings eine Verbindung zu einem Blockchain-Netzwerk und anderen Web3-Protokollen. Diese Verbindung wird durch einen Blockchain-Client, die Wallet, gewährleistet. Diese Wallet verwaltet die Schlüssel und die Blockchain-Adresse des Token-Inhabers und ermöglicht somit eine eindeutige Identität und die Referenzierbarkeit der Tokens im Netzwerk. Ohne eine Software, die unsere digitale Identität verwaltet, wären wir nicht in der Lage, mit einem Blockchain-Netzwerk zu interagieren und Transaktionen digital zu unterzeichnen. Das Web3 baut daher im Frontend auf dem aktuellen Web2-Stack auf, führt aber zusätzliche Elemente auf Anwendungsebene ein, um den privaten Schlüssel eines Benutzers zu verwalten (siehe hierzu Kapitel „Kryptografie“). Im Backend ändert sich allerdings so einiges. Das Web3 bietet eine ganz neue Infrastrukturschicht, die etablierte Internetarchitekturen, zumindest teilweise, ablösen könnte.
Für den Durchschnittsanwender sollten sich diese dezentralen Anwendungen nicht von bestehenden Webanwendungen unterscheiden. Das bedeutet, dass sie genauso einfach und intuitiv wie reguläre Anwendungen zu bedienen sein müssen, um sich in der breiten Masse durchzusetzen. Derzeit ist das aber meist nicht der Fall, da Wallet-Software und Schlüsselverwaltung oftmals kompliziert in der Handhabung sind. Darüber hinaus kann eine breite Akzeptanz für neue Anwendungen wahrscheinlich nur dann erreicht werden, wenn das Misstrauen gegenüber zentralisierten Lösungen groß genug ist, um Kompromisse bei der Nutzerfreundlichkeit aktueller Blockchain-Clients zu rechtfertigen. Bis eine bessere Nutzerfreundlichkeit erreicht werden kann, wird das Web3 wahrscheinlich ein Nischenphänomen bleiben. Hier ist aber anzumerken, dass die Entwicklergemeinschaft in den letzten Jahren viele Fortschritte beim Aufbau des Web3-Ökosystems gemacht hat. Diverse Firmen arbeiten fieberhaft an neuen Anwendungen und Protokollen. Viele dieser Protokolle befinden sich allerdings noch in einer frühen Entwicklungsphase.
Web3-Anwendungen interagieren typischerweise mit Netzwerkknoten, die vorab unbekannt und daher nicht automatisch vertrauenswürdig sind und die unterschiedliche Qualität in puncto Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit aufweisen. Neue Libraries und APIs werden daher benötigt, um diese Komplexität zu bewältigen. Noch ist unklar, wann wir eine kritische Masse erreichen, um aktuelle Webanwendungen in größerem Umfang zu ersetzen, oder welche Standards sich letztendlich durchsetzen werden. Der Übergang von Client-Server-Architekturen zu P2P-Architekturen wird eher schrittweise als radikal erfolgen.
Da dezentrale Architekturen robuster sind als ihre zentralen Web2-Vorgänger, sind sie in vielen Fällen fehlertoleranter und resistenter gegenüber Angriffen als aktuelle Webarchitekturen. Sie sind allerdings auch langsamer. Der Spagat zwischen Dezentralisierung, Sicherheit und Geschwindigkeit ist eine Herausforderung, die schwer zu meistern ist (siehe Anhang, „Skalierbarkeit“). Obwohl es wahrscheinlich ist, dass die Zukunft des Internets stärker dezentralisiert sein wird, bedeutet das nicht, dass zentrale Datenarchitekturen gänzlich abgeschafft werden. Zentralisierte Systeme haben, je nach Anwendungsfall, auch Vorteile und werden nicht von heute auf morgen verschwinden. Dezentralität kann außerdem nicht als absoluter Begriff verwendet werden. Das Web3 wird zwar dezentraler organisiert und verwaltet als das bisherige Internet, gesteuert wird es aber zentral, nämlich durch die jeweiligen Netzwerkprotokolle. Diese Web3-Netzwerke sind zwar geografisch und physisch dezentral organisiert, sie sind aber in ihrer Betriebslogik durch das Netzwerkprotokoll stark zentralisiert. Notwendige Protokoll-Updates erfordern, dass sich die Mehrheit der Netzwerkakteure darüber einigt, wie die neuen Protokollregeln aussehen sollen, und einheitliche Meinungen sind schwer zu erreichen (siehe Kapitel „Dezentrale autonome Organisationen (DAOs)” und “Governance: Steuerung von DAOs“).
Dezentrale Anwendungen im Web3 {#dezentrale-anwendungen-im-web3}
Dezentrale Anwendungen werden in einem P2P-Netzwerk von Computern ausgeführt anstatt auf einem einzelnen Computer. Es handelt sich dabei um ein Softwareprogramm, das so konzipiert ist, dass es nicht von einem einzigen Rechner kontrolliert wird. Dezentrale Anwendungen sind aber kein neues Phänomen und müssen nicht unbedingt auf einem Blockchain-Netzwerk laufen.[^1]
Herkömmliche Webanwendungen verwenden beispielsweise HTML, CSS und JavaScript, um eine Webseite zu erstellen. Diese Seite interagiert mit einem Webserver, auf dem alle Daten gespeichert sind. Wenn Sie einen Dienst wie beispielsweise Twitter, Facebook, Amazon oder Airbnb nutzen, ruft die Webseite eine API auf, um Ihre persönlichen Daten und andere notwendige Informationen, die auf ihren Servern gespeichert sind, zu verarbeiten und auf der aufgerufenen Seite anzuzeigen.
Dezentrale Anwendungen sind traditionellen Webanwendungen ähnlich. Die Benutzeroberfläche einer dezentralen Anwendung entspricht einer Website oder mobilen App. Die Dateien dieser Benutzeroberflächen, wie Fotos, Videos oder Audiodateien, können auf dezentralen Speichernetzwerken wie Swarm oder IPFS gehostet werden. Derzeit werden sie aber oftmals noch zentral gehostet. Der Blockchain-Client verwendet die gleiche Technologie zum Erstellen einer Seite wie eine herkömmliche Webanwendung (z. B. HTML, CSS, JavaScript), nur dass die Informationen nicht von einem zentralen Server kommen, sondern von dem Blockchain-Client bzw. dem Blockchain-Netzwerk. Der Blockchain-Client bedient sowohl das Frontend als auch die P2P-Logik, die Wallet und gegebenenfalls die Smart Contracts (bei Smart-Contract-fähigen Netzwerken). Der Smart Contract interagiert mit einem Blockchain-Netzwerk, repräsentiert die Logik der dezentralen Anwendung und verarbeitet die Informationen aus Blockchain-Netzwerken und der Außenwelt, um den Zustand aller Netzwerkakteure zu verwalten (siehe Kapitel „Smart Contracts“). Repräsentiert der Blockchain-Client einen Full Node (siehe Kapitel „Bitcoin, Blockchain und andere Distributed Ledger“), verwaltet er auch den kompletten Ledger. In diesem Fall ist der Blockchain-Client HTTP-Client und -Server in einem, da bei einem Full Node alle Daten direkt beim Client liegen.
Zusammenfassung
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Während das Web2 eine Frontend-Revolution war, ist Web3 eine Backend-Revolution, die den Internetnutzern erstmals eine universelle Zustandsebene zur Verfügung stellt.
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Das Web3 basiert auf einer Reihe von Protokollen, die die Art und Weise, wie das Internet im Backend funktioniert, neu erfindet und die Funktionalität eines Computers dezentralisiert. Blockchain ist hierbei das zentrale Nervensystem dieses neuen Webs.
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Das Internet, das wir heute nutzen, speichert und verwaltet Daten auf Servern (hoffentlich) vertrauenswürdiger Institutionen. Im Web3 werden Daten in mehrfachen Kopien auf unterschiedlichen Rechnern eines Blockchain-Netzwerks oder ähnlichen Netzwerken gespeichert. Die Verwaltungsregeln werden im Protokoll formalisiert. Transaktionen werden per Mehrheitsbeschluss aller Netzwerkteilnehmer verifiziert. In den meisten Fällen werden Netzwerkteilnehmer mit einem Netzwerk-Token für ihre Aktivitäten belohnt.
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Der Begriff Blockchain wird häufig als Synonym für das Web3 oder andere dezentrale Protokolle verwendet, zumindest von der breiten Öffentlichkeit und manchen Journalisten. Um das Web vollständig zu dezentralisieren, ist aber eine Vielzahl weiterer Protokolle erforderlich.
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Dezentrale Anwendungen werden auf einem P2P-Netzwerk von Computern ausgeführt anstatt auf einem einzelnen Computer. Es handelt sich um ein Softwareprogramm, das so konzipiert ist, dass es nicht von einem einzigen Rechner kontrolliert wird.
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Blockchain-Netzwerke und andere Distributed Ledger Systeme repräsentieren lediglich den dezentralen Prozessor oder die Rechenleistung für dezentrale Anwendungen. Dezentrale Anwendungen erfordern aber mehr als ein Blockchain-Netzwerk. Andere wichtige Funktionen für die Verwaltung dezentraler Anwendungen sind etwa die Datenspeicherung, der Nachrichtenaustausch sowie externe Daten, die erforderlich sind. Externe Daten werden von Oracle-Services bereitgestellt (siehe Kapitel „Smart Contracts“).
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Quellen und weiterführende Literatur
- Benet, Juan: “IPFS – Content Addressed, Versioned, P2P File System (DRAFT 3)”: https://ipfs.io/ipfs/QmR7GSQM93Cx5eAg6a6yRzNde1FQv7uL6X1o4k7zrJa3LX/ipfs.draft3.pdf
- Ehrsam, Fred; “The dApp Developer Stack: The Blockchain Industry Barometer”, Apr 30, 2017: https://medium.com/@FEhrsam/the-dapp-developer-stack-the-blockchain-industry-barometer-8d55ec1c7d4
- Gaúcho Pereira Felipe Gaúcho: “The Web3 Video Stack Charting the infrastructure for a decentralized mediaverse!”Aug 16, 2018: https://tokeneconomy.co/web3videostack-c423481c32a5
- Gillies, James; Cailliau, Robert: “How the Web was Born: The Story of the World Wide Web”, Oxford University Press, 2000: https://books.google.de/books?id=pIH-JijUNS0C&lpg=PA25&ots=MKZj0F7pJN&pg=PA25&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false
- Koblitz, N., "Elliptic curve cryptosystems". Mathematics of Computation. 48 (177): 203–209, 1987
- Laplante, Philip A.: “Dictionary of Computer Science, Engineering and Technology”, 2000, CRC Press. p. 466.
- McConaghy, Trent: “Blockchain Infrastructure Landscape: A First Principles Framing Manifesting Storage, Computation, and Communications”, Jul 15, 2017: https://medium.com/@trentmc0/blockchain-infrastructure-landscape-a-first-principles-framing-92cc5549bafe
- Miller, V.; “Use of elliptic curves in cryptography”. CRYPTO. Lecture Notes in Computer Science. 85. pp. 417–426, 1985
- Misra, Jayadev: “A Discipline of Multiprogramming: Programming Theory for Distributed Applications” Springer, 2001.
- Monegro, Joel: “Fat Protocols”, Aug 8, 2016: https://www.usv.com/blog/fat-protocols
- Nakamoto, Satoshi; "Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System". Bitcoin.org, 2008, Archived from the original on 20 March 2014: https://bitcoin.org/bitcoin.pdf
- N.N.: “Web3 Foundation – Website”: https://web3.foundation/
- N.N.: “Comprehensive wiki of generalised Web3 stack”: https://github.com/w3f/Web3-wiki/wiki
- Pon, Bruce: “Blockchain will usher in the era of decentralised computing”, Apr 15, 2016: https://blog.bigchaindb.com/blockchain-will-usher-in-the-era-of-decentralised-computing-7f35e94af0b6
- Samani, Kyle: “The Web3 Stack”, July 10, 2018, https://multicoin.capital/2018/07/10/the-web3-stack/
- Stallings, W.: “Computer Networking with Internet Protocols and Technology”, Pearson Education, 2004.
- Tual, Stephan: “Web 3.0 Revisited — Part One: “Across Chains and Across Protocols”, May 26, 2017: https://blog.stephantual.com/web-3-0-revisited-part-one-across-chains-and-across-protocols-4282b01054c5
- Vinton G. Cerf; Robert E. Kahn (May 1974). "A Protocol for Packet Network Intercommunication". IEEE Transactions on Communications. 22 (5): 637–648. doi:10.1109/tcom.1974.
- Wolpert, John: “Bring on the Stateful Internet”, Aug 2, 2018: https://media.consensys.net/bring-on-the-stateful-internet-d589adc7bb65
- Wood, Gavin: “ĐApps: What Web 3.0 Looks Like”, 17 April 2014: http://gavwood.com/dappsweb3.html
- Filecoin: https://filecoin.io/
- Golem: https://golem.network/
- IPFS: https://ipfs.io/
- SIA: https://sia.tech/
- Storj: https://storj.io
- Swarm: https://swarm-guide.readthedocs.io/en/latest/
Fussnoten
[^1]: BitTorrent, Popcorn Time, BitMessage und Tor sind allesamt dezentrale Anwendungen, die von einem P2P-Netzwerk verwaltet werden, das kein Blockchain-Netzwerk ist. Blockchain-Netzwerke sind eine besondere Form von P2P-Netzwerken (mehr dazu im Anhang - Geschichte von Bitcoin & dem Web3).